Product-Led Growth (PLG) gilt längst nicht mehr als Buzzword aus der SaaS-Welt. Der Ansatz, bei dem das Produkt selbst zum wichtigsten Vertriebskanal wird, setzt sich zunehmend auch in etablierten B2B-Unternehmen durch. Doch wie lässt sich diese Strategie konkret denken und umsetzen?
Ein Modell liefert besonders präzise Antworten: das PLG Flywheel – ein Framework, das Nutzerverhalten nicht linear in einem Funnel, sondern zirkulär als wiederholbaren Zyklus beschreibt. Genau das macht es für datengetriebene Marketing- und Vertriebsansätze so wertvoll.
Ich arbeite seit mehreren Jahren mit PLG-Prinzipien, bin Product-Led Certified und nutze das Flywheel-Konzept regelmäßig in der strategischen Entwicklung von Lifecycle-Programmen, Automatisierung und nutzungsbasierter Segmentierung.
Warum ein Rad mehr sagt als ein Trichter
Das Flywheel, entwickelt von ProductLed.org, ersetzt das alte Bild des Marketing-Funnels durch eine dynamische Logik: Nutzer werden nicht „durchgeschoben“, sondern kontinuierlich weiterentwickelt. Das Ziel: aus Erstnutzern loyale Fürsprecher machen – und dadurch organisches Wachstum generieren.
Im Zentrum steht die Erkenntnis, dass ein gutes Produkterlebnis zum stärksten Wachstumsmotor wird. Empfehlungen ersetzen Marketingbudgets. Nutzungssignale lösen Sales-Prozesse ab. Und der Einstieg erfolgt nicht über einen Pitch, sondern über ein Erlebnis.
Die vier Phasen im PLG Flywheel
Das Modell unterscheidet vier Nutzersegmente, die den typischen Phasen der Customer Journey entsprechen – allerdings zirkulär gedacht.
1. Evaluators – Die Bewertenden
Sie sind neu, neugierig – und prüfen: Löst das Produkt mein Problem?
In dieser Phase entscheidet sich, ob Nutzer*innen überhaupt in Bewegung bleiben. Der sogenannte „Aha-Moment“ – also das erste spürbare Ergebnis – ist hier entscheidend.
Das Unternehmen:
Ein schlankes Self-Service-Onboarding, ein klarer Fokus auf den zentralen Nutzen und eine schnelle Time-to-Value sind Pflicht.
2. Beginners – Die Entdeckenden
Die ersten Funktionen sitzen. Jetzt geht es um das „Was noch?“.
Beginners erkunden das Produkt über den ursprünglichen Anwendungsfall hinaus. Je mehr sie entdecken, desto stärker verankert sich das Produkt im Alltag.
Das Unternehmen:
Jetzt zahlt sich gute Nutzerführung aus – durch gezielte Tipps, smarte E-Mail-Flows und eine UI, die neue Funktionen sichtbar macht.
3. Regulars – Die Routinierten
Sie nutzen das Produkt regelmäßig, haben es verstanden – und sind mittendrin.
Hier entscheidet sich, ob ein User bleibt oder sich wieder abwendet. Es geht um emotionale Bindung, nicht nur um Funktion.
Das Unternehmen:
Inspiration liefern, Anwendungsvielfalt zeigen, Communitys aufbauen. Kurz: den Nutzwert erhöhen, ohne zu überfordern.
4. Champions – Die Multiplikatoren
Sie sind überzeugt, integriert – und machen das Produkt zu einem Teil ihrer täglichen Arbeit.
Champions fordern, testen, empfehlen. Sie haben einen hohen NPS-Wert und sind bereit, ihr Netzwerk mit auf die Reise zu nehmen.
Das Unternehmen:
Jetzt beginnt echtes Wachstum – durch Referral-Programme, Beta-Zugänge oder Co-Creation-Initiativen.
Warum das Flywheel keine schöne Metapher ist, sondern ein Strategieinstrument
Das Entscheidende am Flywheel ist nicht nur seine Form – sondern seine Wirkung: Es beschreibt einen Zyklus, der von sich aus beschleunigt. Je mehr Champions entstehen, desto mehr neue Evaluators treten ein – ganz ohne zusätzliche Werbekosten.
Bessere Product Experience → mehr Champions → mehr organisches Wachstum
Die Umsetzung erfordert ein gutes Zusammenspiel aus Produkt, Marketing, Customer Success und Datenanalyse. Es reicht nicht, einen Trial anzubieten. Entscheidend ist, jeden Schritt der Nutzung bewusst zu gestalten – und datenbasiert zu begleiten.
Aus der Praxis: Warum ich mit dem Flywheel arbeite
Ich setze das PLG Flywheel in der Praxis ein, um datengetriebene Marketingstrategien entlang der gesamten Customer Journey zu entwickeln – von der Trial-Phase über die Aktivierung bis hin zur Empfehlung durch loyale Nutzerteams.
Konkret nutze ich das Modell, um:
- Zielgruppensegmente nach Nutzungsintensität und Reifegrad zu identifizieren
- Onboarding-Strecken systematisch aufzubauen
- Nutzungssignale als Trigger für Kommunikation zu verwenden
- die Verzahnung zwischen Marketing Automation, CRM und Customer Success zu optimieren
- Lifecycle-Kampagnen zu orchestrieren, die Konversionen entlang echter Produktinteraktionen fördern
Das PLG Flywheel liefert mir die strategische Basis, um Maßnahmen zielgerichtet auf Nutzerverhalten abzustimmen – statt auf Bauchgefühl.
Für wen sich das Flywheel lohnt – und warum jetzt der richtige Zeitpunkt ist
Das PLG Flywheel eignet sich nicht nur für Start-ups oder Freemium-Produkte. Auch für mittelständische Unternehmen, Beratungsanbieter oder digitale Plattformlösungen lassen sich PLG-Prinzipien adaptieren – etwa durch:
- Test-Zugänge mit gezieltem Self-Service-Onboarding
- Segmentierte Kommunikationsstrecken auf Basis von Nutzungssignalen
- CRM- und Analytics-Integration zur Identifikation von Product Qualified Leads
- Retention-Kampagnen entlang des Lifecycle-Stadiums
Mit dem zunehmenden Einsatz von KI, Self-Service-Plattformen und modularen SaaS-Modellen bietet sich gerade jetzt die Gelegenheit, produktbasierte Customer Journeys strategisch zu etablieren – ohne klassische Vertriebslogiken über Bord zu werfen.
Fazit: Vom Verkaufsversprechen zur Nutzungserfahrung
Das PLG Flywheel verändert den Blick auf Kundengewinnung und -bindung. Es stellt nicht die Conversion in den Mittelpunkt, sondern die kontinuierliche Aktivierung.
Für mich ist es eines der strategisch stärksten Modelle im modernen Marketing. Es zwingt Unternehmen, sich zu fragen: Was erlebt mein Nutzer – und was passiert danach?
Wer diesen Zyklus durchdenkt, baut langfristige Kundenbeziehungen auf, senkt die CAC (Customer Acquisition Cost) und steigert den CLV (Customer Lifetime Value). Und das nicht durch Rabatte – sondern durch Relevanz.
Product-Led Growth ist kein Werkzeug. Es ist ein Perspektivwechsel.